Dankesrede Ich
möchte der Jury des International Music Councils für die Verleihung des
UNESCO Musikpreises 2005 und der Ehre, die sie mir damit zuteil werden lässt,
danken. Ich
danke dem Bürgermeister des Stadt Aachen, der mich in Ihrer schönen
Stadt mit so viel Herzlichkeit empfangen hat. Ich danke dem Aachener
Sinfonieorchester und seinem Generalmusikdirektor Markus Bosch sowie den
beiden Solisten des heutigen Abends, meiner geliebten Maria Farantouri und
dem Cellisten Johannes Moser, die Ihnen heute einige Seiten meiner Musik
vorstellen werden. Aber
der Jury schulde ich Dank auch aus einem anderen Grund, und zwar weil sie
neben dem Komponisten auch den Bürger Theodorakis ehrt. Als
Künstler habe ich meine Kunst sowohl mit den antiken als auch mit den
modernen Traditionen meines Landes verbunden. Denn neben dem Bedürfnis,
meine Gedanken und Gefühle auszudrücken, empfand ich zugleich den
Wunsch, mich mit meiner Musik an einen idealen Gesprächspartner wenden zu
können. Und
dieser konnte für mich nur der zeitgenössische Grieche, der zeitgenössische
Mensch sein. Mit dem Begriff „zeitgenössisch“ verband ich zu keinem
Zeitpunkt eine kleine Gruppe von – aufgrund ihrer gesellschaftlichen
Position oder höheren Bildung – Privilegierter, sondern den so
genannten Durchschnittsbürger, aber vor allem den sozial aktiven Bürger.
In dem Zusammenhang muss man feststellen, dass durch die Ereignisse des
letzten Jahrhunderts seit dem 2. Weltkrieg die engagierten Bürger vieler
Staaten zu Bastionen der Verteidigung aller großen menschlichen Werte
wurden. Zugleich wird der engagierte Bürger zu einem Schöpfer des
gesellschaftlichen Fortschritts. Dieser Umstand wird zu einer
Herausforderung für das Bewusstsein des Künstlers, denn seine Kunst muss
jetzt breiter werden, um die innere Welt tausender oder gar Millionen von
Menschen ausdrücken zu können. Denn
ein Mensch kann nicht Freiheit und menschlichen Werte verteidigen und
nicht zugleich der Kunst ebenbürtig sein. Aber es reicht nicht, dass er
die überlieferte, traditionelle Kunst assimiliert. Als lebendiger
geistiger Organismus lechzt er nach einer lebendigen Kunst, die ihn ausdrückt,
die ihn berührt und inspiriert. Eine ihm „eigene“ Kunst, die auch
alle Traditionen mit einschließt, die in ihm widerhallen. Denn vergessen
wir nicht, dass es kein Volk ohne wunderbare Traditionen auf allen
Gebieten der Kunst und insbesondere der Musik gibt. Auch
die musikalische Tradition meiner Heimat Griechenland ist vielgestaltig
und reich. An aller erster Stelle ist die byzantinische Musiktradition zu
nennen, die dank der Orthodoxen Kirche noch lebendig ist, so dass in den
Kirchen noch heute die Neugriechen ihre ersten musikalischen Prägungen
erhalten, so wie im Übrigen ich auch, denn als Kind war ich zunächst
Mitglied in diversen Kirchenchören und als Jungendlicher dirigierte ich
meine Kompositionen für die Göttliche Liturgie. Diese
lebendige byzantinische Tradition fand Eingang ins Neugriechische Liedgut,
das nicht nur die Menschen berührt, sondern tagtäglich die Griechen
regelrecht „ernährt“. Hinzu kommt, dass viele Texte von heute in
Griechenland komponierten Liedern von bedeutenden Lyrikern stammen, was
dazu führt, dass die Dichtung zum Teil der Volkskultur wurde. Als
ich mich vor der Notwendigkeit sah, nach neuen Formen und Inhalten für
meine Werke zu suchen, um der historischen Herausforderung gerecht zu
werden und eine Kunst auf der Höhe des modernen Bürgers zu schaffen, stützte
ich mich auf diese reiche und lebendige Tradition, die ich in mir und um
mich herum hatte: auf die Byzantinische Musik und die zeitgenössischen
griechischen „Lieder“ (im Schubertschen Sinn, wobei das entsprechende
griechische Wort „Asmata“ ist).
Nach meiner ersten sinfonischen Phase kehrte ich nach Griechenland
zurück und schrieb eine Reihe von Liederzyklen, um anschließend mein
ersten Oratorium zu komponieren. 1960 vertonte ich das Poem „Axion esti“
von Odysseas Elytis. Das war mein erstes Werk auf der Suche nach der
„neuen Kunst“, die volkstümliche mit modernen Kompositionstechniken
verbinden und sich dabei auf die hohe Dichtung eine Literaturnobelpreisträgers
stützen sollte. Das Werk „Axion esti“ hatte einen durchschlagenden
Erfolg beim griechischen Publikum, was mich noch mehr mit ihm verband. Mit
jedem Tag empfand ich meine Pflicht gegenüber dem griechischen Volk
wachsen. Ich hatte das Gefühl, ich sei verantwortlich, für alles, was
geschah. War es Freude, freute ich mich mit ihm. War es jedoch Tragödie
und Schmerz, dann hatte ich das Gefühl, etwas mehr leiden zu müssen als
die anderen, zumal die anderen mir dieses unschätzbare Geschenk ihrer
Liebe gegenüber meiner Musik gemacht hatten. Das
sind mit wenigen Worten meine Geschichte und das wahre Bild der Beziehung
zwischen Kunst und Politik, wie ich sie erlebt habe und weiterhin erlebe. Ich
möchte diese Rede mit meinen besten Wünschen für die UNESCO schließen.
Möge diese Organisation den Weg weiter gehen, den sie bislang beschritten
hat, einen Weg, den ich mein ganzes Leben als auch meinen eigenen Weg gewählt
habe. Mikis Theodorakis, 4.11.2005
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