Jehuda Amichai 1924 - 22. September 2000

 

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Vitaler Einklang

Zum Tode des israelischen Dichters Jehuda Amichai

Bei uns galt er als leiser Diplomat, in Israel als streitbarer, politischer Kopf. Seine Gedichte wurden in der Knesset oder als Begründungshilfe im Obersten Gerichtshof Israels zitiert. Sein Übersetzer Paulus Böhmer beschreibt ihn als alten, gelassenen Helden, der in fünf Kriegen gekämpft und sich dennoch die Liebe zur Welt bewahrt habe. Seine - in 40 Sprachen übersetzte Gedichte sprechen von einem ungebrochenen Eros, von wachsender Lebensintensität noch im Alter. Am Freitag ist Jehuda Amichai 76jährig in Jerusalem gestorben. Der gebürtige Würzburger emigrierte 1935 mit seiner Familie nach Palästina. Er hat es immer als besonderes Privileg und Glück empfunden, dass seine große, weit verzweigte Familie den Genozid überlebt hatte. Aber er kannte auch die Trauer und das Schuldgefühl der Überlebenden und thematisierte es in seinem literarischen Werk. 1959 kehrte der Dichter erstmals in seine Heimatstadt Würzburg zurück (die ihn 1981 mit ihrem Kulturpreis ehrte). Die Reise nach Würzburg wird auch in seinem autobiografischen Roman "Nicht von jetzt, nicht von hier" (1963) dargestellt. Amichai beteuerte, diese Reise sei für ihn nicht schwierig gewesen, da er vor allem glückliche Momente mit seiner Kindheit verbinde. Gleichwohl wird Würzburg in seinem Roman zu "Weinburg", - zur Stadt der Tränen. Der Roman thematisiert auch die Frage, ob Rache möglich und wünschenswert sei. Für sich und seinen Romanhelden Joel hat Amichai sie verneint. Seither ist er viel und oft in Deutschland gewesen,, den offenen Dialog mit den Deutschen suchend. Es freute ihn, dass gerade in den letzten Jahren verstärkt Übersetzungen seiner Gedichte und seiner Prosa in Deutschland und in der Schweiz erschienen sind: 1988 "Wie schön sind deine Zelte, Jakob" und "Die Nacht der schrecklichen Tänze", 1992 "Nicht von jetzt, nicht von hier", 1994 "Auch eine Faust war einmal eine offene Hand", 1998 und 2000 die Lyrikbände "Zeit" und "Jerusalem-Gedichte". Als Lyriker ist Amichai vielleicht am ehesten mit Erich Fried zu vergleichen; seine Gedichte tendieren zum einfachen Wahrspruch. Gerade diese Einfachheit hat ihn zum vielleicht populärsten Lyriker Israels werden lassen. Mit Fried verbindet ihn auch der ungebrochen vitale Eros, trotz Emigration und Verlust der Heimat, sowie der implizite oder explizite politische Gestus seiner Gedichte. Seine Leser konnten den Eindruck gewinnen, hier spreche ein Volksschriftsteller, der die Stimme der Vernunft und die Stimme des Herzens zur Übereinstimmung bringen müsse. Seit 1936 lebte Amichai in Jerusalem, nach dem Studium war er Lehrer, später Hochschullehrer für hebräische Literatur. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, auch, 1982, den Israel-Preis, die bedeutendste Würdigung, die sein Land zu vergeben hat. Er war mit Schimon Peres und Yitzhak Rabin eng befreundet und galt doch als konservativer - natürlich nicht im orthodoxen Sinne. Als solcher war er den Israelis oft unbequem wie der Prophet im eigenen Land. Sie werden ihn vermissen.

Copyright: Lutz Hagestedt SZ 23/24 September 2000

 

with Mayor Christian Ude

with Avi Primor ex Israeli embassador